Die Baureihe 91 und der Ur-Opa vom Alex

0

Im Bw Senftenberg ist sie zuhause, die Baureihe 91 auf dem Foto da oben vom Alex. Natürlich ist sie eine schöne Lokomotive. Aber so richtig Bedeutung bekommt sie, weil sein Ur-Opa auf dem Foto abgelichtet ist. Er ist der Dritte von rechts. Mit Joppen und Hut.

Die Preußische T 9.3

Die Herren Vorfahren auf Fotos lassen einen natürlich gleich ein wenig in Familiendingen abtauchen. Nicht immer hat man Erinnerungen an die reale Person. Manchmal sind es Erzählungen, die man in der Jugend hörte. Doch manchmal hat man auch Worte gewechselt. Geschichten gemeinsam erlebt. Doch stets verbindet einen was.

Das Foto selbst gefällt mir sehr gut. Die länderbahnige Ausstrahlung, welche die Lok Nr. „7924“ besitzt, macht es aus. Auch die Personengruppe ringsum wirkt fast ein wenig feierlich. Und man zeigt sich durchaus ein wenig stolz im beisein der Lok Nr. „7924“.

Ich habe sie mal als Preußische T 9.3 identifiziert. (DR-Baureihe 913–18, 91.20). Bei ÖBB (ÖBB 691), ČSD (ČSD-Baureihe 335.1) und PKP (PKP TKi3) lief sie auch.

Die T 9.3 Lokomotiven der Preußischen Staatseisenbahnen waren eine bemerkenswerte Serie von Tenderlokomotiven, von denen insgesamt 2060 hergestellt wurden. Die Produktion begann im Jahr 1901 in der Königsberger Union-Gießerei und setzte sich auch nach der Verstaatlichung der Ostpreußischen Südbahn im Jahr 1903 fort. Diese Lokomotiven waren äußerst vielseitig und fanden sowohl im Personenzug- als auch im Güterzugverkehr Verwendung.

Im Jahr 1920 standen die Mecklenburgischen Staatseisenbahnen vor einem akuten Mangel an Fahrzeugen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wurden drei Lokomotiven der Gattung Essen 7378, 7062 und 7073 zugewiesen, die fortan unter den Bahnnummern 780 bis 782 im Einsatz waren. Diese Maßnahme trug maßgeblich zur Verbesserung der Eisenbahninfrastruktur bei.

1925 wurden die Lokomotiven der Baureihe T 9.3 von der Deutschen Reichsbahn eingeführt und unter den Nummern 913–18 und 9120 in den Umzeichnungsplan aufgenommen. Diese Lokomotiven unterschieden sich von ihren Vorgängern, den preußischen T 9.2, durch die Verwendung des Krauss-Helmholtz-Gestells anstelle der Adamsachse. Dadurch konnte die Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h gesteigert werden, später sogar auf 65 km/h. Die Reichsbahn erwarb insgesamt 1503 Maschinen, darunter zehn aus Elsaß-Lothringen, 31 aus dem Saarland und zehn aus Württemberg. Im Zweiten Weltkrieg wurden zusätzliche Lokomotiven aus Belgien übernommen.

Im Jahr 1949 erweiterte die Deutsche Reichsbahn ihren Lokomotivenbestand um fünf weitere T 9.3 Lokomotiven, die zuvor von Privatbahnen betrieben wurden. Diese Lokomotiven trugen die Nummern 91 6501, 6576, 6577, 6581 und 6582 und waren teilweise auf Heißdampfbetrieb umgerüstet worden. Die Phase der Ausmusterung begann nach dem Jahr 1945 und endete 1964 bei der Deutschen Bundesbahn sowie 1971 bei der Deutschen Reichsbahn.

Neben der Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn erwarb auch die Niederbarnimer Eisenbahn zwei T 9.3 Dampflokomotiven von der Deutschen Reichsbahn. Diese erhielten die Betriebsnummern 91 595 (Fabriknummer Jung 673/1904) und 91 352 (Fabriknummer Hohenzollern 1523/1902) gemäß dem Umzeichnungsplan. Die Lokomotiven wurden als NbE 05 und NbE 06 bezeichnet.

Die deutschen Städte Münster, Dresden und Berlin beherbergen historische Dampflokomotiven des Typs T 9.3. In Münster ist die 91 319 zu sehen, während Dresden die 91 896II und Berlin die 91 936 im Deutschen Technikmuseum präsentiert. Außerdem kommt eine T 9.3 bei der Museums-Eisenbahn Minden zum Einsatz. Die 91 406 wurde 2015 vom Bayerischen Eisenbahnmuseum aus Finnland nach Nördlingen gebracht und wird derzeit dort restauriert. Die 91 1770 ist als Ausstellungsstück im Eisenbahnmuseum St. Petersburg zu bewundern.

Die Kundgebung zum 1. Mai in der Bahnhofstraße in Senftenberg

Zurück nach Senftenberg, wenngleich die Geschichte der Baureihe 91 eine sehr spannende ist und eigentlich selbst einen sehr ausführlichen Bericht verdient hätte. Aber wir haben uns ja hier versammelt, um auch über etwas Uropa zu erfahren.

Alex spielte mir das nebenstehende Foto zu und ich versank sogleich in Gedanken, hinein in die Geschichte, die da im Jahr 1957 lief. Ich sah die Menschen marschieren. Denn ein gemütlicher Sonntagsspaziergang war es nicht. Sonntag auch nicht, es war ein Mittwoch. Die Sonne schien schon mit warmen Strahlen und tauchte die Szene in ein warmes Licht.

Hier hatte sich der Fotograf aufgestellt und da marschierte offenbar gerade die Abordnung aus dem Betriebswerk Senftenberg vorbei. Ach ja, Uropa ist der Zweite von rechts. Vier Reihen hinter ihm marschieren mehrere Nicht-Uniformierte. Da würde ich vermuten, dass das Fehlen der Uniform auf eine politische Funktion im Betriebswerk hindeutet. Was mir aber tatsächlich auffiel, das ist die sehr unterschiedliche Lebenskraft, die in den Augen der Marschierenden liegt.

Die 1,-mai-Kundgebung in der Bahnhofstraße in Senftenberg. Alex' Uropa ist der zweite von rechts.

Die 1,-mai-Kundgebung in der Bahnhofstraße in Senftenberg. Alex‘ Uropa ist der zweite von rechts.

In Uropas Reihe und in jener davor strahlen die Augen eine große innere Stärke aus. In den Augen der beiden dahinter liegenden Reihen liegt Untergang und Resignation, Leere, Hoffnungslosigkeit und Zerstörtheit. Es wirkt auf mich so, dass die Menschen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem System in der DDR auseinandergesetzt haben. Einige haben sich damit arrangieren können, wie offenbar die Gruppe um Uropa. Andere sind daran zerbrochen und gescheitert. Wieder andere haben sich entschieden, auf der politischen Welle mitzureiten. Damit meine ich die vermutlich in politischer Funktion tätigen und in Zivil gekleideten Herren. Diese sind die einzigen, deren Gesichtsausdruck ein Krümel Freude zu entnehmen ist.

Wie kommt eine derart verhaltene Stimmung an einem sonnendurchfluteten Tag wie dem 1. Mai 1957 zustande? Die Antwort geht mir durch den Kopf, will aber nicht herausspringen, sie ist allzu düster. Ich lasse den Gedanken auch in seinem Zimmer und schließe dessen Tür. Wir sind ja auch hier, um etwas Freudiges aufzunehmen.

Das Foto aus dem Senftenberg des Jahres 1957 hat auch tatsächlich etwas sehr Positives. Der eine oder andere unter uns wird sich sicher schon mal gefragt haben, wie denn Uropa oder ein anderer Vorfahre gelebt haben mag, von dem man in Gesprächen erfahren hat. Wie sah seine Welt aus? Was hat er gemocht? Wie verlief sein Tag? Alex wird seinen Uropa nicht in persona kennengelernt haben können. Da können solche Fragen schon mal aufkommen. Und dann fallen einem solche Fotos in die Hände, wenn man auf dem Dachboden mal die alten Holzkisten knarrend öffnet und im Inhalt blättert.

Da tut es dann gut, zu sehen, dass er in der schwierigen Zeit offenbar seinen Platz in der Welt gefunden hat. Das Foto, das ihn vor der Baureihe 91 zeigt, dokumentiert auch, dass er sich in seinem Leben Ziele gesetzt hat und diese auch erreicht hat. Da darf man annehmen, dass er für sich auch Zufriedenheit erlangt hat. Bei allem Ernst, das das Foto aus der Bahnhofstraße in sein Gesicht gezeichnet hat.

Ein Stück Teilhabe am Leben von Uropa ist es, dass es Alex und auch uns gibt. Und es ist ungeschönt, es ist echt. Ich glaube Alex hätte gerne mal mit ihm gesprochen. Über die Baureihe 91 sicher auch und viel, aber vielleicht noch mehr über sein Leben. Und ich glaube, dass er viel zu erzählen hätte und es gerne tun würde. Na, zumindest das Foto erzählt ja ein wenig.

Damit will ich auch beschließen und den Fluss meiner Gedanken unterbrechen. Wer sich von euch jetzt befleißigt fühlt, auf den Dachboden zu gehen und die Kisten zu öffnen und in die Vergangenheit hinabzusteigen, der sollte seinem Drang freien Lauf lassen. Es tut gut, diesen Gang zu tun und steht vermutlich schon länger an. Aber das Leben lässt einem ja oft wenig Zeit für Besinnliches. Heute schon.

Euer Sturmi

Über den Autor

Sturmi ist passionierter Modellbahner, Spielbahner, Dioramen- und Modellbauer und Table-Top-Spieler, und so einiges mehr. Hier auf Nietenzähler.de posaunt er seine gute Laune und seine Freude mit der Modellbahn in all ihren Schattierungen in die digitale Welt hinaus.

Lassen Sie eine Antwort hier