In den letzten Wochen habt ihr durch unsere Linse gesehen, wie Honisch City wirklich ist – roh, staubig und mit mehr Blei in der Luft als Sauerstoff.
Der Mann hinter der Kamera hatte dabei keine einfache Rolle. Zwei Aufgaben – und beide tödlich, wenn man sie falsch angeht: filmreife Szenen einfangen… und dabei selbst nicht unter die Erde kommen.
Das Erste war machbar. Das Zweite… eher eine Frage des Glücks – und der schnellen Beine.
Als der letzte Colt verklang, verließ er die Stadt fluchtartig. In der Redaktion ließ er einen Teil seiner Aufnahmen zurück – nicht, weil er geizig war, sondern weil die Geister der rauchigen Schattengestalten von Honisch City ihm im Nacken saßen.
Er schwor, er habe sie gehört. In jeder Gasse. In jedem Schritt hinter ihm.
Jetzt ist er zurück.
Staub in den Haaren, Schweiß auf der Stirn – und unter dem Arm ein Bündel mit Bildern, die bisher niemand zu sehen bekam.
Wir werden sie euch nicht vorenthalten.
Denn manche Geschichten muss man sehen, um zu glauben, dass sie überhaupt passierten.
Die Mainstreet
Keine Straße in Honisch City hat mehr Blut geschluckt als diese.
Na gut – vielleicht die Snake Alley, aber die Main Street ist dicht auf den Fersen… und sie spielt in einer ganz eigenen Liga.
Jede Planke hier kennt das Gewicht von Toten. Jeder Stein hat den Abdruck eines Stiefels, der nie wieder einen Schritt gemacht hat.
Auf dem folgenden Foto seht ihr eine der Gangs in Aktion – breitbeinig, geladen, und mit dem Blick von Männern, die wissen, dass sie heute nicht alle nach Hause gehen werden.
An den Fenstern?
Nichts. Kein Flattern einer Gardine, kein neugieriger Blick.
In Honisch City weiß man, dass Särge teuer sind – und Glas auch.
Zerbrochene Scheiben lassen sich ersetzen. Augen nicht.
Das Hafengebiet
Das Hafengebiet – ein Stück Stadt, das nach Salz, Schweiß und Ärger riecht. Hier haben sich die Chinesen breitgemacht. Nicht, weil man sie woanders haben wollte – im Gegenteil. Man hat sie weggeschoben, bis nur noch diese Ecke blieb. Billige Mieten, verfallene Lagerhäuser, knarrende Stege… für andere ein Dreckloch, für sie ein Anfang.
Mit der Gegend kam auch das Publikum – das falsche, versteht sich. Säufer, Spieler, Gescheiterte. Manchmal sogar die Sorte, die glaubt, schneller ziehen zu können als ein Drache atmet.
Die ersten Jahre in Honisch City?
Die Chinesen haben sie nicht nur überlebt – sie haben sich Zähne wachsen lassen. Sie hielten zusammen wie nasse Seide, waren viele, und jeder von ihnen konnte eine Winchester oder einen Colt so bedienen, dass der Gegner nicht einmal zum zweiten Atemzug kam.
Heute sind sie keine Randfiguren mehr.
Sie sind Gesetz.
Und das Gesetz in Honisch City hat einen neuen Paragraphen:
Kein Sheriff hat ihn geschrieben, kein Richter hat ihn verlesen.
Aber jeder kennt ihn. Jeder beachtet ihn.
Leg dich nie mit dem Drachen an.
Das Haus des Undertakers
Hinter dem Haus des Undertakers liegt ein Stück Boden, das nie wirklich zur Ruhe kommt.
Heute ist es wieder so weit – frische Erde, dunkel, feucht, als hätte sie gerade etwas geschluckt, das besser ungenannt bleibt.
Die meisten Bürger von Honisch City merken davon nichts.
Oder tun so.
In dieser Stadt ist Wegsehen oft billiger als Fragen stellen.
Nur ein paar Auserwählte – Spezialkunden, wie Werner Fallinsloch sie nennt – wissen, was es bedeutet.
Sie kommen spät. Immer allein.
Der Hut tief, der Blick flach, die Hand schwer von Dingen, die besser nicht ins Licht geraten.
Es wechseln keine Worte, nur ein Nicken.
Und am nächsten Morgen ist die Erde hinter dem Undertaker wieder umgepflügt.
Ohne Werkzeug. Ohne Zeugen.
Keiner kann erklären, warum.
Keiner will es.
Denn in Honisch City gibt es Orte, an denen Geschichten nicht erzählt werden.
Nur vergraben.
Die unbebaute Lücke zwischen dem Undertaker und vor dem Barn
Die unbebaute Lücke zwischen dem Undertaker und dem Barn
…wo die Erde mehr weiß, als sie sagen will
Vor zwanzig Jahren ritt Elias “Big Plans” Morningside in Honisch City ein.
Ein Mann mit staubigem Mantel, goldenen Versprechungen und Augen, die wie scharf geschliffene Schaufeln wirkten.
Er stand genau an der Stelle zwischen dem Undertaker-Haus und dem roten Barn – eine brachliegende Parzelle, nur Staub, Unkraut und ein paar Bretter im Wind.
„Hier“, sagte er und stieß seinen Stiefel in den Boden, „kommt mein Traum hin. Größer als der Red Viper. Hell erleuchtet. Ein Ort, wo keiner den Tod fürchtet.“
Werner Fallinsloch trat damals aus seiner Tür, die Schaufel lässig in der Hand.
„In Honisch City fürchtet man nicht den Tod, Mister. Hier kennt man ihn. Persönlich.“
Morningside lachte.
„Dann wird er mein bester Kunde.“
Drei Wochen später hörte man Schreie aus der Lücke. Nächte lang.
Man fand keine Leiche. Keine Spur. Nur ein Stuhl – umgestürzt – und tiefe Kratzer in der Erde, als hätte jemand versucht, sich selbst herauszuziehen.
Der Sheriff wollte graben lassen. Werner schüttelte den Kopf.
„Lasst die Erde in Ruhe. Sie frisst besser, wenn sie nicht gestört wird.“
Seitdem wagt niemand, dort zu bauen.
Der Wind geht dort anders.
Und wenn man genau hinhört, flüstert er eine Stimme, die sagt:
„Das ist mein Platz.“
Der alte Wayne
Am äußersten Ende von Honisch City, dort, wo die Main Street in Staub zerfällt und der Wind nur noch aus der Prärie kommt, steht ein kleines Blockhaus. Schief, aus wettergegerbten Stämmen, Dach mit mehr Löchern als eine Pokerrunde nach Mitternacht.
Darin lebt Wayne. Nur Wayne.
Kein Nachname. Kein Willkommen.
Wayne redet wenig. Er hört zu.
Und wenn er zuhört, ist es, als würden die Bretter des Hauses mitlauschen.
Man kennt ihn in der Stadt – aber nur aus Geschichten.
Einige sagen, er sei mal Kopfgeldjäger gewesen. Andere, er habe die Stadt gegründet und sich dann zurückgezogen, um zu sehen, wie sie an sich selbst verreckt.
Er selbst sagt gar nichts.
Jeden dritten Freitag kommt er in die Stadt.
Immer bei Sonnenuntergang. Immer mit einem schweren Sack.
Manchmal klimpert er. Manchmal tropft er.
Niemand weiß, was drin ist – und keiner fragt zweimal.
Einmal folgte ihm Tommy Blake – ja, der Tommy Blake, bevor er im Barber’s Hell verschwand.
Er kam nicht zurück.
Wenn nachts der Wind dreht, kann man aus Waynes Haus Licht sehen. Und Schatten. Bewegungen, die nicht zu einem Mann passen.
Und manchmal, ganz leise, ein Lachen.
Es ist nicht Waynes Lachen.